Anklage und Hauptverhandlung
TAURUS.legal
Hauptverhandlung – Stellung und Bedeutung
Die Hauptverhandlung ist der zentrale Abschnitt des Strafverfahrens, in dem über Schuld oder Unschuld und über das konkrete Strafmaß entschieden wird. Sie schließt sich an das Ermittlungs‑ und Zwischenverfahren an und findet vor dem sachlich und örtlich zuständigen Gericht statt. In der Hauptverhandlung werden Beweismittel – Zeugen, Urkunden, Sachverständige, Augenscheinobjekte – grundsätzlich in öffentlicher Sitzung erhoben und vom Gericht gewürdigt; das Urteil darf sich nur auf Beweise stützen, die in der Hauptverhandlung eingeführt wurden.
Für Angeklagte bedeutet dies: In der Hauptverhandlung entscheidet sich, ob es zu einem Freispruch, einer Verurteilung oder einer Einstellung kommt. Entsprechend wichtig ist eine sorgfältige Vorbereitung auf Verhandlungstermine und auf die eigene Rolle im Prozess.
Anklage und Zwischenverfahren
Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob der ermittelte Sachverhalt für eine öffentliche Klage ausreicht und erhebt in diesem Fall Anklage beim zuständigen Gericht. Mit Eingang der Anklageschrift beginnt das sogenannte Zwischenverfahren; das Gericht prüft nun eigenständig, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht und ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegen.
Zum notwendigen Inhalt der Anklageschrift gehören insbesondere die Person des Angeschuldigten, der zur Last gelegte Sachverhalt in tatsächlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht, die abstrakte rechtliche Einordnung, die angewendeten Strafnormen und die Beweismittel. Das Gericht ist an die rechtliche Würdigung der Staatsanwaltschaft nicht gebunden und kann im Zwischenverfahren ergänzende Aufklärungsmaßnahmen anordnen oder einzelne Tatvorwürfe anders rechtlich einordnen. Dem Angeschuldigten wird die Anklage förmlich zugestellt; in dieser Phase können über die Verteidigung bereits Einwendungen gegen die Anklage erhoben, Beweisanträge gestellt oder Hinweise auf Verfahrenshindernisse gegeben werden.
Das Zwischenverfahren kann auf unterschiedliche Weise enden: Hält das Gericht den hinreichenden Tatverdacht für gegeben, erlässt es einen Eröffnungsbeschluss und lässt die Anklage (gegebenenfalls in modifizierter Form) zur Hauptverhandlung zu. Sieht es die Voraussetzungen für eine Hauptverhandlung nicht als erfüllt an – etwa wegen fehlender Prozessvoraussetzungen oder unzureichender Beweislage –, kann es die Eröffnung ablehnen oder das Verfahren vorläufig einstellen, etwa wenn vorübergehende Hindernisse (z.B. längere Abwesenheit des Angeschuldigten) entgegenstehen. Für die Verteidigung ist das Zwischenverfahren eine wichtige Gelegenheit, bereits vor Beginn der Hauptverhandlung auf eine Nichteröffnung, eine Einschränkung des Anklagevorwurfs oder eine verfahrensschonende Lösung hinzuwirken.
Ablauf der Hauptverhandlung
Aufruf zur Sache, Feststellung der Anwesenheit und Personalien
Die Sitzung beginnt mit dem Aufruf der Sache, Feststellung der anwesenden Personen (Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Angeklagter, Zeugen, ggf. Nebenkläger) und Feststellung der Personalien des Angeklagten.Verlesung der Anklageschrift
Die Staatsanwaltschaft verliest die Anklageschrift; damit wird der dem Angeklagten zur Last gelegte Sachverhalt in das Verfahren eingeführt.Einlassung des Angeklagten
Anschließend wird der Angeklagte gefragt, ob die Anklage verstanden wurde und ob er sich zur Sache äußern möchte. Der Angeklagte kann sich zur Sache äußern oder von seinem Schweigerecht Gebrauch machen; er ist nicht verpflichtet, Angaben zum Tatvorwurf zu machen. Ob eine Einlassung sinnvoll ist, sollte vorab mit dem Verteidiger abgestimmt werden; möglich sind auch vorbereitete schriftliche Stellungnahmen, die verlesen oder zusammengefasst werden.Beweisaufnahme
Es folgt die Beweisaufnahme: Zeugen werden vernommen, Sachverständige gehört, Urkunden verlesen und Augenscheinsobjekte in Augenschein genommen. Gericht und Verfahrensbeteiligte können Fragen stellen, um Sachverhalte zu klären, Widersprüche aufzudecken oder den Kontext von Aussagen zu erhellen. Sie können auch die Erhebung bestimmter Beweismittel beantragen (Beweisantragsrecht), um so Einfluss auf den Verlauf der Hauptverhandlung zu nehmen oder ein sich ggf. anschließendes Revisionsverfahren vorzubereiten.Schlussvorträge („Plädoyers“) und letztes Wort
Nach Abschluss der Beweisaufnahme halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Schlussvorträge („Plädoyers“), in denen sie aus ihrer Sicht den Sachverhalt und die rechtliche Bewertung zusammenfassen sowie Anträge zum Schuldspruch und zur Strafe stellen. Anschließend erhält der Angeklagte das „Letzte Wort“, in dem er sich noch einmal persönlich äußern kann, bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzieht.Urteilsverkündung
Das Gericht verkündet das Urteil mündlich und begründet es in den wesentlichen Zügen; die schriftlichen Urteilsgründe folgen später. Gleichzeitig werden Rechtsmittelbelehrungen erteilt und häufig Hinweise auf Fristen und Zuständigkeiten gegeben.
Rechte und Rolle des Angeklagten in der Hauptverhandlung
Der Angeklagte hat das Recht, an sämtlichen wesentlichen Sitzungsterminen anwesend zu sein und den Verlauf der Verhandlung zu verfolgen; nur in eng begrenzten Ausnahmefällen kann ohne ihn verhandelt werden. Daneben hat der Angeklagte auch eigene prozessuale Rechte und ist nicht bloß “Zuschauer” der Hauptverhanldung. Er kann persönlich Erklärungen abgeben, Fragen an Zeugen und Sachverständige stellen, Beweisanträge und sonstige Anträge (etwa Ablehnungs‑ oder Aussetzungsanträge) selbst stellen und Einwände gegen Verfahrensabläufe erheben.
Das Schweigerecht aus dem Ermittlungsverfahren gilt uneingeschränkt auch in der Hauptverhandlung: Der Angeklagte kann jederzeit zu einzelnen Fragen oder insgesamt die Aussage verweigern; er darf seine Einlassung ändern oder ergänzen und muss sich nicht selbst belasten. Für die sachgerechte und optimale Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten empfiehlt sich stets anwaltlicher Beistand durch einen Strafverteidiger.
Vorbereitung auf die Hauptverhandlung
Eine sorgfältige Vorbereitung umfasst:
Durchsicht der Ermittlungsakte und Besprechung der Beweislage mit der Verteidigung.
Klärung, ob und in welcher Form eine Einlassung erfolgen soll (Schweigen, freie Aussage, schriftlich vorbereitete Stellungnahme).
Vorbereitung auf mögliche Fragen von Gericht und Staatsanwaltschaft.
Vorbereitung von Befragungen von Zeugen oder Sachverständigen.
Organisation von entlastenden Zeugen, Unterlagen oder sonstigen Beweismitteln, die noch eingeführt werden sollen und Vorbereitung von entsprechenden Beweisanträgen
Gerade bei umfangreicheren Verfahren kann es sinnvoll sein, in Vorbereitungsterminen „Proben“ für die Verhandlung durchzugehen, kritische Punkte im Sachverhalt anzusprechen und mögliche Reaktionen des Gerichts einzuschätzen.
Mögliche Ergebnisse der Hauptverhandlung
Am Ende der Hauptverhandlung stehen in erster Linie ein Freispruch oder eine Verurteilung, gegebenenfalls beschränkt auf einzelne Tatvorwürfe. Bei einer Verurteilung kann das Gericht Geldstrafe oder Freiheitsstrafe verhängen und dabei entscheiden, ob eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, oft verbunden mit Auflagen oder Weisungen (z.B. Schadenswiedergutmachung, Geldauflage, Teilnahme an Maßnahmen).
Neben einem Urteil kommt auch eine Einstellung des Verfahrens in Betracht, etwa wegen Geringfügigkeit oder fehlenden öffentlichen Interesses nach § 153 StPO oder gegen Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO. Solche Einstellungen sind teils schon im Ermittlungsverfahren, teils noch in der laufenden Hauptverhandlung möglich, wenn Gericht, Staatsanwaltschaft und – soweit gesetzlich vorgesehen – der Angeklagte hiermit einverstanden sind. Schließlich kann das Gericht nach Maßgabe der §§ 154, 154a StPO einzelne Tatvorwürfe teilweise einstellen oder von einer Entscheidung abtrennen, wenn dies prozessual angezeigt ist.
Berufungsverfahren – zweite Tatsacheninstanz
Gegen Urteile des Amtsgerichts (Einzelrichter oder Schöffengericht) kann in der Regel Berufung eingelegt werden; zuständig ist dann das Landgericht als zweite Tatsacheninstanz. Die Berufung eröffnet eine erneute inhaltliche Überprüfung von Schuldspruch und Strafe – also nicht nur Rechtsfragen, sondern auch Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellungen.
In der Berufungshauptverhandlung muss das Gericht Beweise neu erheben; also Zeugen erneut hören, neue Zeugen vernehmen und weitere Unterlagen berücksichtigen. Der Angeklagte kann seine Einlassung ändern, ergänzen oder erstmals abgeben; auch hier gilt das Schweigerecht uneingeschränkt.
Typische Konstellationen für Berufungen sind:
Zweifel an der Beweiswürdigung oder an der Glaubwürdigkeit einzelner Zeugen bzw. Glaubhaftigkeit einzelner Zeugenaussagen.
Unangemessen hoch empfundene Strafen (z.B. Freiheitsstrafe statt Geldstrafe, nicht gewährte Bewährung).
Neue entlastende Tatsachen oder Beweismittel, die im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorlagen oder nicht hinreichend gewürdigt wurden.
Die Berufung kann auf das Strafmaß beschränkt werden („reine Strafmaßberufung“), wenn der Schuldspruch als solcher akzeptiert wird, aber eine mildere Rechtsfolge angestrebt wird. Eine sorgfältige Analyse des erstinstanzlichen Urteils ist hier Grundlage für die Frage, ob Berufung eingelegt werden sollte.
Revision und Sprungrevision
Gegen Urteile, die in erster Instanz vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht ergehen ist eine Berufung nicht statthaft. Diese Urteile können ausschließlich mit der Revision angegriffen werden. Die Revision richtet sich primär gegen Rechtsfehler des Urteils und des Verfahrens, nicht gegen die Beweiswürdigung als solche; geprüft wird insbesondere, ob Verfahrensvorschriften verletzt oder materielles Recht falsch angewendet wurde. Die Überprüfung erfolgt im Wesentlichen anhand des schriftlichen Urteils und des Protokolls der Hauptverhandlung, eine neue Beweisaufnahme findet nicht statt.
Bei Urteilen des Amtsgerichts besteht neben der Berufung die Möglichkeit der Sprungrevision: Statt den Umweg über die Berufung zu gehen, kann – wenn sowohl Berufung als auch Revision zulässig wären – direkt Revision eingelegt und das Urteil unmittelbar auf Rechtsfehler überprüft werden. Die Sprungrevision bietet sich vor allem dann an, wenn der entscheidende Streitpunkt in der rechtlichen Würdigung liegt und keine erneute Tatsachenverhandlung gewünscht ist, weil mit ihr die Berufungsinstanz bewusst „übersprungen“ wird.
Häufige Fragen (FAQ) zur Hauptverhandlung
In strafrechtlichen Verfahren besteht grundsätzlich Anwesenheitspflicht des Angeklagten; nur in wenigen Ausnahmefällen kann ohne ihn verhandelt werden. Ein unentschuldigtes Ausbleiben kann zu Vorführungsanordnungen, Ordnungsmitteln, einem Haftbefehl oder zur Verwerfung von Rechtsmitteln führen.
Ob eine Aussage sinnvoll ist, hängt von der Beweislage, vom bisherigen Verlauf des Verfahrens und von der Verteidigungsstrategie ab. Das Schweigerecht gilt uneingeschränkt; eine Einlassung sollte immer im Vorfeld mit dem Verteidiger besprochen und strukturiert vorbereitet werden.
Widersprüche zwischen polizeilichen Aussagen und gerichtlicher Aussage sind für die Beweiswürdigung zentral; Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung können frühere Aussagen vorhalten und nach Gründen für die Abweichung fragen. Solche Widersprüche können die Glaubhaftigkeit einzelner Aussagen schwächen oder entkräften.
Einfache Verfahren können in einem einzigen Termin abgeschlossen werden; umfangreiche Verfahren mit vielen Zeugen und Gutachtern können sich über mehrere Verhandlungstage und damit über Wochen, Monate oder auch mehr als einem Jahr erstrecken. Die Dauer hängt vom Umfang der Beweisaufnahme und der Komplexität des Falles ab.
Gegen Urteile, die in erster Instanz vor dem Amtsgericht ergehen, ist die Berufung grundsätzlich ein statthaftes Rechtsmittel. Eine Berufung kann sinnvoll sein, wenn Zweifel an der Richtigkeit des Schuldspruchs bestehen oder das Strafmaß als unangemessen hoch erscheint; sie ermöglicht eine erneute umfassende Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Ob eine Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil Erfolgsaussichten hat, sollte mit dem Verteidiger besprochen werden.
In der Berufung gilt ein eingeschränktes Verschlechterungsverbot dann, wenn ausschließlich der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt hat; im Übrigen kann sich das Ergebnis – etwa bei Berufung der Staatsanwaltschaft – auch verschlechtern.
Ja. Gegen Urteile, die in erster Instanz vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht ergehen, ist ausschließlich die Revision das statthafte Rechtsmittel. Gegen Urteile, die in erster Instanz vor dem Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) ergehen, kommt neben der Berufung die sog. Sprungrevision als Rechtsmittel in Betracht.
