Straf­recht­li­ches Ermittlungsverfahren

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Straf­ver­tei­di­gung im Ermittlungsverfahren

Das straf­recht­li­che Ermitt­lungs­ver­fah­ren ist die ers­te Pha­se eines Straf­ver­fah­rens und dient dazu, zu klä­ren, ob sich ein Anfangs­ver­dacht zu einem hin­rei­chen­den Tat­ver­dacht ver­dich­tet. In die­sem Sta­di­um ent­schei­det sich, ob das Ver­fah­ren ein­ge­stellt, per Straf­be­fehl been­det oder mit einer Ankla­ge in eine öffent­li­che Haupt­ver­hand­lung über­führt wird. Für Beschul­dig­te ist das Ermitt­lungs­ver­fah­ren des­halb die ent­schei­den­de Pha­se, um auf den wei­te­ren Ver­lauf und das Ergeb­nis Ein­fluss zu nehmen.

Ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren kann auf­grund einer Straf­an­zei­ge, einer poli­zei­li­chen Mel­dung, einer Mit­tei­lung von Behör­den (z.B. Finanz­amt, Zoll, Jugend­amt) oder eige­ner Erkennt­nis­se der Poli­zei oder Staats­an­walt­schaft ein­ge­lei­tet wer­den. Aus recht­li­cher Sicht genügt ein „Anfangs­ver­dacht“, also kon­kre­te tat­säch­li­che Anhalts­punk­te, dass eine Straf­tat began­gen wor­den sein könn­te; Beweis­si­cher­heit ist zu die­sem Zeit­punkt nicht erforderlich.

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    Betei­lig­te und Rol­len im Ermittlungsverfahren

    Lei­ten­de Behör­de des Ermitt­lungs­ver­fah­rens ist die Staats­an­walt­schaft; sie ent­schei­det über Ein­lei­tung, Umfang und Abschluss des Ver­fah­rens und trägt die Ver­ant­wor­tung dafür, sowohl belas­ten­de als auch ent­las­ten­de Umstän­de zu ermit­teln. Die Poli­zei führt im Auf­trag der Staats­an­walt­schaft Ermitt­lun­gen durch, nimmt Anzei­gen auf, ver­nimmt Zeu­gen und Beschul­dig­te, sichert Spu­ren und erstellt Berichte.

    Dane­ben kön­nen Fach­stel­len wie Steu­er­fahn­dung, Zoll, Auf­sichts­be­hör­den oder Sach­ver­stän­di­ge ein­ge­bun­den sein, etwa in Wirtschafts‑, Steuer‑ oder Betäu­bungs­mit­tel­ver­fah­ren. Betrof­fe­ne Per­so­nen haben je nach Rol­le unter­schied­li­che Rech­te: als Beschul­dig­ter, als Zeu­ge, als Geschä­dig­ter oder als Neben­klä­ger, wobei vor allem die Stel­lung als Beschul­dig­ter spe­zi­el­le Schutz­rech­te (z.B. Schwei­ge­recht) auslöst.

    Typi­scher Ablauf des Ermittlungsverfahrens

    1. Anfangs­ver­dacht und Ein­lei­tung
      Lie­gen kon­kre­te Anhalts­punk­te für eine Straf­tat vor, wird ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet und eine Akte ange­legt. Der Betrof­fe­ne erfährt hier­von oft zunächst nichts; vie­le Ermitt­lun­gen lau­fen „im Hin­ter­grund“, bevor eine ers­te Kon­takt­auf­nah­me erfolgt.

    2. Ers­te Maß­nah­men
      Zu den typi­schen ers­ten Schrit­ten gehö­ren die Auf­nah­me der Anzei­ge, ers­te Zeu­gen­ver­neh­mun­gen und gege­be­nen­falls ein­fa­che Siche­rungs­maß­nah­men (z.B. Fotos, Video­aus­wer­tung, Sicher­stel­lung ein­zel­ner Gegen­stän­de). In ein­fach gela­ger­ten Ver­fah­ren – etwa bei klei­ne­ren Kör­per­ver­let­zun­gen oder Laden­dieb­stäh­len – kann die Poli­zei bereits in die­sem Sta­di­um rela­tiv umfas­send ermit­teln und einen Vor­gang an die Staats­an­walt­schaft schicken.

    3. Erwei­ter­te Ermitt­lun­gen
      Je nach Delikts­typ und Kom­ple­xi­tät kön­nen sich hier­an ver­tief­te Ermitt­lun­gen anschlie­ßen: Haus­durch­su­chun­gen, Sicher­stel­lung und Aus­wer­tung von Daten­trä­gern, Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung, medi­zi­ni­sche oder rechts­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen, unfall­ana­ly­ti­sche oder sons­ti­ge Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten. Beson­ders ein­griffs­in­ten­si­ve Maß­nah­men bedür­fen in der Regel einer rich­ter­li­chen Anord­nung und unter­lie­gen stren­gen Vor­aus­set­zun­gen der Strafprozessordnung.

    4. Beschul­dig­ten­ver­neh­mung
      Im Zuge des Ermitt­lungs­ver­fah­rens wird der Betrof­fe­ne häu­fig als Beschul­dig­ter ver­nom­men und muss vor­ab als sol­cher belehrt wer­den; dazu gehört der Hin­weis auf das Recht zu schwei­gen und auf das Recht, jeder­zeit einen Ver­tei­di­ger zu kon­sul­tie­ren. Eine Pflicht, Anga­ben zur Sache zu machen, besteht nicht; ver­pflich­tend sind nur Anga­ben zu den Personalien.

    5. Abschluss­be­richt und Ent­schei­dung der Staats­an­walt­schaft
      Nach Abschluss der wesent­li­chen Maß­nah­men wer­tet die Staats­an­walt­schaft die Akte aus und ent­schei­det, ob der Ver­dacht aus­reicht, um Ankla­ge zu erhe­ben, ob ein Straf­be­fehl bean­tragt oder das Ver­fah­ren (ggf. mit Auf­la­gen) ein­ge­stellt wird.

    Rech­te und typi­sche Feh­ler von Beschuldigten

    Zen­tral im Ermitt­lungs­ver­fah­ren ist das Schwei­ge­recht: Jede beschul­dig­te Per­son darf zur Sache schwei­gen, ohne dass dies als Schuld­ein­ge­ständ­nis gewer­tet wer­den darf. In der Pra­xis ent­ste­hen Pro­ble­me oft dadurch, dass Beschul­dig­te in der ers­ten Auf­re­gung ver­su­chen, sich spon­tan zu recht­fer­ti­gen oder eine aus ihrer Sicht harm­lo­se Erklä­rung zu lie­fern – etwa bei Vor­la­dun­gen, Durch­su­chun­gen oder tele­fo­ni­schen Nachfragen.

    Wei­te­re häu­fi­ge Feh­ler sind:

    • Aus­sa­gen gegen­über Poli­zei ohne vor­he­ri­ge Akten­ein­sicht und ohne anwalt­li­che Beratung.

    • Ein­ver­ständ­nis mit Durch­su­chun­gen oder Sicher­stel­lun­gen, ohne die Trag­wei­te zu kennen.

    • Unbe­dach­te Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Drit­ten (z.B. Chat‑Verläufe, E‑Mails), die spä­ter als Beweis­mit­tel auftauchen.

    Über den Ver­tei­di­ger besteht Anspruch auf Akten­ein­sicht nach § 147 StPO; die Staats­an­walt­schaft darf die­se nur aus­nahms­wei­se und zeit­lich befris­tet beschrän­ken, wenn der Unter­su­chungs­zweck ernst­haft gefähr­det wäre. Erst mit Kennt­nis der Akten­la­ge – also der bereits vor­lie­gen­den Bewei­se, Zeu­gen­aus­sa­gen und Gut­ach­ten – lässt sich seri­ös ent­schei­den, ob eine Ein­las­sung sinn­voll ist, in wel­cher Form sie erfol­gen soll­te und wel­che Ver­tei­di­gungs­an­sät­ze bestehen.

    Abschluss­mög­lich­kei­ten im Detail

    Die Staats­an­walt­schaft ver­fügt über meh­re­re Optio­nen, ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren zu beenden:

    • Ein­stel­lung man­gels Tat­ver­dachts
      Lie­gen nach Abschluss der Ermitt­lun­gen kei­ne aus­rei­chen­den Bewei­se für eine straf­ba­re Hand­lung vor oder erweist sich der Ver­dacht als unbe­grün­det, ist das Ver­fah­ren einzustellen.

    • Ein­stel­lung wegen Gering­fü­gig­keit / gegen Auf­la­gen
      Bei gering­fü­gi­gen Ver­ge­hen, ins­be­son­de­re bei Erst­tä­tern, kann die Staats­an­walt­schaft das Ver­fah­ren wegen gerin­ger Schuld ein­stel­len oder eine Ein­stel­lung gegen Auf­la­gen und Wei­sun­gen (z.B. Geld­auf­la­ge, Scha­dens­wie­der­gut­ma­chung, Teil­nah­me an Kur­sen) verfügen.

    • Straf­be­fehl
      In ein­fa­chen oder klar doku­men­tier­ten Fäl­len – etwa bei bestimm­ten Verkehrs‑ oder Ver­mö­gens­de­lik­ten – kann ein Straf­be­fehl bean­tragt wer­den, mit dem ohne Haupt­ver­hand­lung eine Geld­stra­fe oder eine zur Bewäh­rung aus­ge­setz­te Frei­heits­stra­fe ver­hängt wird; der Betrof­fe­ne kann hier­ge­gen Ein­spruch einlegen.

    • Ankla­ge­er­he­bung
      Besteht hin­rei­chen­der Tat­ver­dacht, erhebt die Staats­an­walt­schaft Ankla­ge beim zustän­di­gen Gericht; im anschlie­ßen­den Zwi­schen­ver­fah­ren prüft das Gericht die Ankla­ge und ent­schei­det, ob das Haupt­ver­fah­ren eröff­net wird.

    Bedeu­tung früh­zei­ti­ger Verteidigung

    Eine früh­zei­ti­ge Ver­tei­di­gung im Ermitt­lungs­ver­fah­ren ermög­licht es, das Ver­fah­ren aktiv zu gestal­ten, statt nur zu reagie­ren. Dazu gehört:

    • Siche­rung ent­las­ten­der Bewei­se (z.B. Zeu­gen, Doku­men­te, Vide­os), bevor sie ver­lo­ren gehen.

    • Geziel­te Stel­lung­nah­men nach Akten­ein­sicht, die auf Ein­stel­lun­gen, Beschrän­kun­gen oder mil­de Lösun­gen hinwirken.

    • Kon­trol­le von Ein­griffs­be­fug­nis­sen (Durch­su­chung, Beschlag­nah­me, Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung) und Prü­fung, ob Ver­fah­rens­feh­ler zu Beweis­ver­wer­tungs­ver­bo­ten füh­ren können.

    • Vor­be­rei­tung auf mög­li­che Neben­fol­gen (Beruf, Fahr­erlaub­nis, auf­ent­halts­recht­li­che Kon­se­quen­zen) und Abstim­mung der Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie hierauf.

    Häu­fi­ge Fra­gen (FAQ) zum Ermittlungsverfahren

    Eine poli­zei­li­che Vor­la­dung als Beschul­dig­ter begrün­det kei­ne Pflicht zu erschei­nen; etwas anders gilt ledig­lich für staats­an­walt­schaft­li­che und rich­ter­li­che Vor­la­dun­gen. Als Beschul­dig­ter besteht jeder­zeit das Recht zu schwei­gen. Vor einer Ent­schei­dung über eine Ein­las­sung soll­te unbe­dingt ein Ver­tei­di­ger kon­tak­tiert und Akten­ein­sicht bean­tragt wer­den, um beur­tei­len zu kön­nen, ob und wel­che Aus­sa­ge sinn­voll ist.

    Ob eine Ein­las­sung sinn­voll ist, lässt sich seri­ös erst nach Akten­ein­sicht beur­tei­len; bis dahin soll­te unbe­dingt, von dem Schwei­ge­recht Gebrauch gemacht wer­den, um kei­ne unbe­dach­ten oder unvoll­stän­di­gen Anga­ben zu machen, die spä­ter nach­tei­lig aus­ge­legt wer­den könn­ten. Beschul­dig­te soll­ten sich hier­von ins­be­son­de­re auch nicht durch die Poli­zei­be­am­te abbrin­gen las­sen.

    Das Schwei­ge­recht ist das zen­tra­le Recht eines Beschul­dig­ten. Die häu­fig anzu­tref­fen­de Aus­sa­gen, “durch Schwei­gen wird alles nur schim­mer” oder “wer nichts zu ver­ber­gen hat, braucht nicht zu schwei­gen”, ist daher grund­falsch! Schwei­gen darf nie­mals zum Nach­teil des Beschul­dig­ten gewer­tet wer­den. In vie­len Ver­fah­ren führt kon­se­quen­tes Schwei­gen – kom­bi­niert mit geziel­ten schrift­li­chen Stel­lung­nah­men nach Akten­ein­sicht – sogar eher zu Ein­stel­lun­gen oder güns­ti­ge­ren Ergeb­nis­sen, als unüber­leg­te spon­ta­ne Äuße­run­gen ohne anwalt­li­che Beratung.

    Die Dau­er hängt vom Umfang der Ermitt­lun­gen und der Aus­las­tung der Behör­den ab; ein­fa­che Ver­fah­ren kön­nen in weni­gen Wochen abge­schlos­sen sein, kom­ple­xe Wirtschafts‑ oder Betäu­bungs­mit­tel­ver­fah­ren dau­ern mit­un­ter vie­le Mona­te oder län­ger. In Haft­sa­chen gilt ein beson­de­res Beschleu­ni­gungs­ge­bot, das über­lan­ge Ver­zö­ge­run­gen ver­hin­dern soll.

    Solan­ge nur im Hin­ter­grund ermit­telt wird, erhält der Betrof­fe­ne häu­fig kei­ne Nach­richt; spä­tes­tens mit förm­li­cher Beschul­dig­ten­ver­neh­mung, einer Durch­su­chung oder einem Anhö­rungs­schrei­ben wird er regel­mä­ßig über das Ver­fah­ren infor­miert. Bei umfang­rei­chen Ermitt­lungs­ver­fah­ren im Bereich der orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät, des Wirt­schafts- oder Betäu­bungs­mit­tel­straf­rechts erfah­ren Betrof­fe­ne in der Regel erst zu einem sehr spä­ten Zeit­punkt von den Ermitt­lun­gen, da die­se übli­cher­wei­se ver­deckt ablau­fen (Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung, Obser­va­ti­on, Ein­satz von ver­deck­ten Ermitt­lern oder Ver­trau­ens­per­so­nen der Polizei).

    Auch Beschul­dig­te ohne Ver­tei­di­ger kön­nen bei der Staats­an­walt­schaft Ein­sicht­nah­me in die Ermitt­lungs­ak­te bean­tra­gen. In der Pra­xis wird die­se die Ein­sicht in die Akte aller­dings nicht sel­ten ver­wei­gern und die mit der Gefähr­dung des Unter­su­chungs­zwe­ckes im Straf­ver­fah­ren begrün­den. Ohne­hin aller­dings ist die Hin­zu­zie­hung eines Rechts­an­walts, der die Akte sodann ein­sieht, für eine fun­dier­te Ver­tei­di­gung regel­mä­ßig unerlässlich.

    Ja, in vie­len Fäl­len endet das Ver­fah­ren bereits im Ermitt­lungs­sta­di­um durch Ein­stel­lung – etwa man­gels Tat­ver­dachts, wegen Gering­fü­gig­keit oder gegen Auf­la­gen – oder durch einen Straf­be­fehl, ohne dass es zu einer öffent­li­chen Haupt­ver­hand­lung kommt. Die früh­zei­ti­ge Hin­zu­zie­hung eines Rechts­an­wal­tes kann hier­zu beitragen.

    In Ver­fah­ren mit Unter­su­chungs­haft sind Staats­an­walt­schaft und Gerich­te ver­pflich­tet, das Ver­fah­ren beson­ders zügig zu för­dern und ohne ver­meid­ba­re Ver­zö­ge­run­gen zur Ent­schei­dung zu brin­gen, weil jede Fort­dau­er der Haft einen schwe­ren Ein­griff in Grund­rech­te dar­stellt. Wird das Beschleu­ni­gungs­ge­bot ver­letzt, kön­nen Gerich­te Haft­ent­las­sun­gen anord­nen oder im Fal­le einer spä­te­ren Ver­ur­tei­lung die Ver­fah­rens­dau­er straf­mil­dernd berücksichtigen.

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