Straf­ver­tei­di­gung im Revisionsverfahren

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Revi­si­on – Ein­ord­nung und Funktion

Die Revi­si­on ist im Straf­ver­fah­ren das Rechts­mit­tel zur Über­prü­fung eines Urteils auf Rechts­feh­ler. Sie eröff­net, anders als die Beru­fung, kei­ne neue Tat­sa­chen­in­stanz, son­dern dient ledig­lich der Kon­trol­le, ob das Gericht der Vor­in­stanz Ver­fah­rens­recht und mate­ri­el­les Recht kor­rekt ange­wandt hat. Aus­gangs­punkt sind dabei das schrift­li­che Urteil und das Pro­to­koll der Hauptverhandlung.

Typi­sche Anwen­dungs­fäl­le sind Urtei­le der Land­ge­rich­te und Ober­lan­des­ge­rich­te sowie Beru­fungs­ur­tei­le; bei amts­ge­richt­li­chen Urtei­len kommt die Revi­si­on (ggf. als Sprung­re­vi­si­on) in Betracht.

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    Revi­si­ons­grün­de in Grundzügen

    Das Revi­si­ons­ge­richt prüft, ob das vor­in­stanz­li­che Gericht Ver­fah­rens­recht und mate­ri­el­les Recht ord­nungs­ge­mäß ange­wen­det hat. Dabei unter­schei­det man zwei grund­le­gend ver­schie­de­ne Arten von Revi­si­ons­grün­den, die jeweils eige­ne Anfor­de­run­gen an Dar­le­gung und Erfolgs­aus­sicht stellen.

    Sach­rü­ge (mate­ri­ell-recht­li­che Überprüfung)

    Die Sach­rü­ge bean­stan­det, dass das mate­ri­el­le Recht – also die Anwen­dung von Straf­ge­setz­buch und Neben­ge­set­zen – auf den fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt oder die Beweis­wür­di­gung feh­ler­haft erfolgt ist. Typi­sche Kon­stel­la­tio­nen sind:

    • Fal­sche Sub­sum­ti­on unter den Tat­be­stand: Der vom Gericht fest­ge­stell­te Sach­ver­halt erfüllt nicht die Vor­aus­set­zun­gen des gewähl­ten Tat­be­stan­des (z.B. kein Dieb­stahl, son­dern Fund­un­ter­schla­gung) oder es hät­te ein mil­der wir­ken­der Tat­be­stand ange­nom­men wer­den müssen.

    • Feh­ler­haf­te Kon­kur­renz­lö­sung: Bei meh­re­ren Tat­vor­wür­fen wur­den die­se falsch kom­bi­niert oder bewer­tet (z.B. ech­te vs. unech­te Kon­kur­renz, Tat­ein­heit vs. Tatmehrheit).

    • Straf­zu­mes­sungs­feh­ler: Das Gericht hat bei der Höhe der Stra­fe Umstän­de nicht berück­sich­tigt, die es berück­sich­ti­gen hät­te müs­sen, oder ein­zel­ne Straf­zu­mes­sungs­ge­sichts­punk­te (z.B. Vor­straf­ten, Tat­mo­tiv, Per­ver­si­tät) feh­ler­haf­te gewür­digt. Auch die Über­schrei­tung eines Straf­rah­mens oder die Nicht­ge­wäh­rung einer Straf­mil­de­rung kön­nen Sach­rü­gen begründen.

    • Feh­ler­haf­te Bewer­tung von Recht­fer­ti­gungs- oder Ent­schul­di­gungs­grün­den: Das Gericht hat etwa Not­wehr, Not­stand, Irr­tum oder schuld­min­dern­de Fak­to­ren über­se­hen oder falsch bewertet.

    • Feh­ler bei der Beweis­wür­di­gung: Grund­sätz­lich ist die Beweis­wür­di­gung urei­gens­te Auf­ga­be des Tat­rich­tes. Das Revi­si­ons­ge­richt führt daher kei­ne freie Neu­be­wer­tung der Bewei­se, son­dern ledig­lich eine Kon­trol­le dar­auf durch, ob die Beweis­wür­di­gung in sich wider­sprüch­lich, lücken­haft, unklar ist oder gegen Denk­ge­set­ze, Erfah­rungs­sät­ze oder den Grund­satz „in dubio pro reo“ ver­stößt. Nur in die­sen recht­lich fass­ba­ren Gren­zen greift die Revi­si­on in die tat­rich­ter­li­che Wür­di­gung ein.

    Die Sach­rü­ge zwingt das Revi­si­ons­ge­richt zur voll­stän­di­gen, eigen­stän­di­gen Über­prü­fung, ob die getrof­fe­nen Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen sich unter die gewähl­te Norm sub­su­mie­ren las­sen. Dabei ist es an die vom Tat­geicht fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen gebun­den, kann aber die Rechts­an­wen­dung kom­plett neu prüfen.

    Ver­fah­rens­rüge (ver­fah­rens­recht­li­che Überprüfung)

    Die Ver­fah­rens­rüge bean­stan­det einen Ver­stoß gegen Ver­fah­rens­recht – also gegen die Straf­pro­zess­ord­nung, Ver­fah­rens­grund­rech­te oder ande­re zur Recht­mä­ßig­keit des Ver­fah­rens füh­ren­de Nor­men. Typi­sche Ver­fah­rens­rügen sind:

    • Feh­ler­haf­te oder unter­blie­be­ne Beleh­rung: Der Ange­klag­te wur­de nicht oder nicht ord­nungs­ge­mäß über sein Schwei­ge­recht belehrt.

    • Rechts­feh­ler­haf­te Ableh­nung von Beweis­an­trä­gen: Das Gericht lehn­te einen Beweis­an­trag ab, obwohl er zuläs­sig und rele­vant war (z.B. Zeu­gen­be­fra­gung, Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten, Urkundeneinführung).

    • Ver­let­zung des Öffent­lich­keits­grund­sat­zes: Die Ver­hand­lung oder Tei­le hier­von fan­den nicht öffent­lich statt, obwohl das erfor­der­lich gewe­sen wäre.

    • Feh­ler bei der Gerichts­be­set­zung: Ein Rich­ter war befan­gen, aus­ge­schlos­sen oder nicht sach­lich zuständig;

    • Ver­let­zung von Anwe­sen­heits- oder Beweis­an­we­sen­heits­rech­ten: Der Ange­klag­te war rechts­feh­ler­haft nicht anwe­send oder konn­te ohne Vor­lie­gen eines beson­de­ren Grun­des nicht voll­stän­dig an der Beweis­auf­nah­me teilnehmen.

    • Unzu­läs­si­ge Ver­wer­tung von Beweis­mit­teln (Beweis­ver­wer­tungs­ver­bo­te): Das Gericht stütz­te sein Urteil auf Bewei­se, deren Erhe­bung rechts­wid­rig war (z.B. abhör­te Tele­fon­ge­sprä­che ohne rich­ter­li­che Geneh­mi­gung, Durch­su­chung ohne aus­rei­chen­de Grund­la­ge, Aus­sa­gen die unter Ver­let­zung des Schwei­ge­rechts des Beschul­dig­ten zustan­de­ge­kom­men sind).

    • Ver­let­zung der Auf­klä­rungs­pflicht: Das Tat­ge­richt hat unter Ver­stoß gegen die gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Auf­klä­rungs­pflicht die Sach­ver­ahlts­auf­klä­rung unterlassen.

    Abso­lu­te vs. rela­ti­ve Revisionsgründe

    Ver­fah­rens­rügen wer­den zudem in abso­lu­te und rela­ti­ve Revi­si­ons­grün­de unterteilt:

    • Abso­lu­te Revi­si­ons­grün­de füh­ren zwin­gend zur Auf­he­bung des Urteils, wenn sie vor­lie­gen – etwa nicht vor­schrifts­mä­ßi­ge Beset­zung des Gerichts, Mit­wir­kung eines befan­ge­nen oder aus­ge­schlos­se­nen Rich­ters, völ­li­ge Miss­ach­tung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. 

    • Rela­ti­ve Revi­si­ons­grün­de erfor­dern zusätz­lich die Prü­fung, ob das Urteil auf dem Feh­ler „beruht”, also ob die Mög­lich­keit besteht, dass der Feh­ler sich zum Nach­teil des Ange­klag­ten aus­ge­wirkt hat. Ist das Beru­hen sicher aus­ge­schlos­sen (weil sich das Ergeb­nis auch ohne den Feh­ler erge­ben hät­te), bleibt die Revi­si­on trotz Ver­fah­rens­ver­sto­ßes erfolglos.

    Beson­der­hei­ten des Revi­si­ons­ver­fah­rens – Anfor­de­run­gen an die Verteidigung

    Wie ande­re Rechts­mit­tel ist auch die Revi­si­on streng an gesetz­li­che Fris­ten gebun­den. Die eigent­li­che Beson­der­heit des Revi­si­ons­rechts liegt jedoch dar­in, dass ins­be­son­de­re Ver­fah­rens­rügen in der Revi­si­ons­be­grün­dung „ord­nungs­ge­mäß“ aus­ge­führt wer­den müs­sen: Alle für die gerüg­te Rechts­ver­let­zung rele­van­ten Tat­sa­chen sind so voll­stän­dig, wider­spruchs­frei und ohne Bezug­nah­me auf die Akte vor­zu­tra­gen, dass das Revi­si­ons­ge­richt allein anhand der Begrün­dung prü­fen kann, ob ein Ver­fah­rens­feh­ler vor­liegt und ob das Urteil dar­auf beru­hen kann. 

    Bei der Sach­rü­ge reicht zwar for­mal schon die all­ge­mei­ne Bean­stan­dung („es wird die Ver­let­zung mate­ri­el­len Rechts gerügt“), eine durch­dach­te und kon­kret begrün­de­te Sach­rü­ge erhöht aber die Erfolgs­aus­sich­ten deut­lich, weil das Revi­si­ons­ge­richt gezielt auf erkann­te Schwach­stel­len hin­ge­wie­sen wird.

    Die sehr umfang­rei­che und detail­rei­che Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs zu den Anfor­de­run­gen an die ord­nungs­ge­mä­ße Begrün­dung der Ver­fah­rens­rüge erfor­dert eine im beson­de­ren Maße prä­zi­se, dog­ma­tisch sau­be­re und for­mal ein­wand­freie Arbeit des Ver­tei­di­gers. Das Revi­si­ons­ver­fah­ren gilt daher auch als “Königs­dis­zi­plin” der Straf­ver­tei­di­gung und stellt grund­le­gend ande­re Anfor­de­run­gen an die Arbeit des Ver­tei­di­gers als Ermitt­lungs­ver­fah­ren oder Hauptverhandlung:

    • Arbei­ten am Urteil, nicht an der Akte: Grund­la­ge der Prü­fung ist das schrift­li­che Urteil (und das Pro­to­koll), nicht die gesam­te Ermitt­lungs­ak­te. Der Ver­tei­di­ger muss das Urteil for­mal und inhalt­lich „aus­ein­an­der­neh­men“, sys­te­ma­ti­sche Feh­ler, Lücken, Wider­sprü­che, feh­len­de Fest­stel­lun­gen oder unzu­läs­si­ge Schluss­fol­ge­run­gen identifizieren.

    • Streng juristisch‑dogmatische Argu­men­ta­ti­on: Wäh­rend in der Tat­sa­chen­in­stanz Stra­te­gie, Auf­tritt und Beweis­füh­rung domi­nie­ren, kommt es in der Revi­si­on auf prä­zi­se recht­li­che Argu­men­ta­ti­on an – etwa zur Reich­wei­te von Ver­fah­rens­rech­ten, zur Aus­le­gung von Tat­be­stän­den oder zur Trag­fä­hig­keit der Beweis­wür­di­gung im Rah­men der Sachrüge.

    • Hohe Form­stren­ge bei Ver­fah­rens­rügen: Jede Ver­fah­rens­rüge muss in der Begrün­dung so auf­ge­baut sein, dass das Revi­si­ons­ge­richt allein anhand der Dar­stel­lung prü­fen kann, ob ein Ver­fah­rens­ver­stoß vor­liegt und ob hier­auf das Urteil beru­hen kann. Schon klei­ne Lücken (z.B. feh­len­de Zeit­an­ga­ben, unkla­re Pro­to­koll­stel­len, nicht voll­stän­dig wie­der­ge­ge­be­ne Anträ­ge oder Beschlüs­se) füh­ren zur Unzu­läs­sig­keit der Rüge.

    • Stra­te­gi­sche Aus­wahl der Revi­si­ons­grün­de: Nicht jede denk­ba­re Rüge ist sinn­voll. Zu vie­le, schwach begrün­de­te Rügen kön­nen den Blick auf wirk­lich tra­gen­de Feh­ler ver­stel­len. Ein Kern­be­stand gut aus­ge­ar­bei­te­ter, trag­fä­hi­ger Sach‑ und/oder Ver­fah­rens­rügen ist regel­mä­ßig effek­ti­ver als eine „Schrot­flin­te“ von Beanstandungen.

    Damit ist die Revi­si­on weni­ger eine „Fort­set­zung“ der Haupt­ver­hand­lung, son­dern ein eigen­stän­di­ges, stark for­ma­li­sier­tes Rechts­mit­tel­ver­fah­ren, das einen Schwer­punkt auf sys­te­ma­ti­sche Feh­ler­ana­ly­se, sau­be­re juris­ti­sche Argu­men­ta­ti­on und prä­zi­se schrift­li­che Arbeit legt.

    Häu­fi­ge Fra­gen (FAQ) zum Revisionsverfahren

    Das Revi­si­ons­ge­richt über­prüft ein Urteil aus­schließ­lich auf Rechts­feh­ler, also dar­auf, ob Ver­fah­rens­vor­schrif­ten und mate­ri­el­les Recht rich­tig ange­wen­det wur­den; die Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen wer­den hin­ge­gen nicht neu getrof­fen und auch die Beweis­wür­di­gung des Erst­ge­richts wird in der Revi­si­on nur dar­auf über­prüft, ob sie wider­sprüch­lich, unklar oder lücken­haft ist oder gegen Denk­ge­set­ze oder gesi­cher­te Erfah­rungs­sät­ze ver­stößt. Die Beru­fung ist dage­gen eine zwei­te Tat­sa­chen­in­stanz, in der die Beweis­auf­nah­me wie­der­holt und die Bewei­se neu gewür­digt werden.

    Revi­si­on ist gegen erst­in­stanz­li­che Urtei­le der Land­ge­rich­te, gegen Beru­fungs­ur­tei­le der Land­ge­rich­te sowie – als Sprung­re­vi­si­on auch direkt gegen amts­ge­richt­li­che Urtei­le mög­lich. Sie muss inner­halb einer Wochen­frist nach der Urteils­ver­kün­dung ein­ge­legt und zusätz­lich inner­halb einer Monats­frist schrift­lich begrün­det wer­den; ohne frist­ge­rech­te und ord­nungs­ge­mä­ße Begrün­dung bleibt die Revi­si­on im Hin­blick auf die sog. Ver­fah­rens­rügen erfolg­los. Die Sach­rü­ge muss zwar nicht wei­ter begrün­det wer­den. Gleich­wohl erhöht eine juris­tisch fun­dier­te Begrün­dung durch ein Rechts­an­walt die Erfolgs­chan­cen im Revi­si­ons­ver­fah­ren deutlich.

    Bei der Sach­rü­ge wer­den Feh­ler bei der recht­li­chen Wür­di­gung des fest­ge­stell­ten Sach­ver­halts, Feh­ler bei der Beweis­wür­di­gung und Rechts­feh­ler bei der Straf­zu­mes­sung gerügt. Ver­fah­rens­rügen hin­ge­gen bean­stan­den Feh­ler im Ablauf des Ver­fah­rens (z.B. Beset­zungs­feh­ler, Ableh­nung von Beweis­an­trä­gen, Ver­let­zung von Beleh­rungs­pflich­ten) und müs­sen ord­nungs­ge­mäß, unter Beach­tung stren­ger Vor­ga­ben, begrün­det werden.

    In der Regel fin­det im Revi­si­ons­ver­fah­ren kei­ne münd­li­chen Ver­hand­lung statt. Ledig­lich in sel­te­nen Aus­nah­me­fäl­len, näm­lich dann, wenn sich die Rich­ter des Senats über die Begrün­det­heit der Revi­si­on unei­nig sind, die Staats­an­walt­schaft kei­nen Antrag auf Ent­schei­dung im Beschluss­we­ge gestellt hat oder eine beson­ders bedeut­sa­me Rechts­fra­ge zu klä­ren ist, fin­det eine Revi­si­ons­haupt­ver­hand­lung statt.

    Eine Ver­schlech­te­rung (höhe­re Stra­fe oder sonst nach­tei­li­ges Ergeb­nis) ist mög­lich, wenn auch die Staats­an­walt­schaft oder ein ande­rer Rechts­mit­tel­be­rech­tig­ter zu Las­ten des Ange­klag­ten das Urteil ange­grif­fen hat. Hat aus­schließ­lich der Ange­klag­te, sein gesetz­li­cher Ver­tre­ter oder die Staats­an­walt­schaft zu Guns­ten des Ange­klag­ten Revi­si­on ein­ge­legt, gilt das Ver­schlech­te­rungs­ver­bot­nach § 331 Abs. 1 StPO: Das Revi­si­ons­ge­richt darf die Ent­schei­dung dann nicht zu Las­ten des Ange­klag­ten verschärfen.

    Die Dau­er eines Revi­si­ons­ver­fah­rens hängt von Umfang und Aus­las­tung des Gerichts ab und reicht in der Pra­xis von eini­gen Mona­ten bis deut­lich dar­über; kom­ple­xe Ver­fah­ren mit umfang­rei­chen Urteils­grün­den und vie­len Rügen dau­ern meist län­ger. Solan­ge die Revi­si­on anhän­gig ist, ist das Urteil nicht rechts­kräf­tig und wird nicht voll­streckt. Ande­re Anord­nun­gen, etwa die Unter­su­chungs­haft, blei­ben hin­ge­gen bestehen.

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